Der Schweizer Reporterpreis 2020 geht an Carlos Hanimann für die fünfteilige Reportage «Die gefährlichste Frau der Schweiz?» (Teil 2, 3, 4, 5), erschienen in der Republik und als Buch im Echtzeit-Verlag. Die Jury entschied sich nach intensiver Diskussion mit unterschiedlichen Meinungen und mehreren Favoriten für Hanimann. Die Jury schreibt in ihrem Statement, die Serie zum Fall der in der breiten Schweizer Öffentlichkeit als ‘Parkhausmörderin’ bekannten Caroline H. besteche durch den sprachlich uneitlen aber recherchetechnisch aufwändigen Blick in die Mühlen der Schweizer Justiz:
«Die Jury möchte ausdrücklich die Ausdauer, die Hartnäckigkeit und den Mut der journalistischen Arbeit honorieren, die sich in Hanimanns Text widerspiegelt. Die Reportage vermag es mit einem gelungenem Spannungsbogen Zweifel zu säen am plakativen Bild der «gefährlichsten Frau der Schweiz». Stattdessen arbeitet der Autor die Vielschichtigkeit der Geschichte der Caroline H. auf und beleuchtet handwerklich souverän die Uneindeutigkeiten des Falles.
Hanimann beleuchtet zentrale Themen der Strafjustiz, etwa die Rolle von Gutachten, die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen und ganz besonders den Wert von – möglicherweise falschen – Geständnissen. Es ist ihm damit gelungen, eine Frau zu entdämonisieren, über die sich viele Schweizerinnen und Schweizer seit zwanzig Jahren ein Bild gemacht haben.
Die mit dem Schweizer Reporterpreis 2020 ausgezeichnete Reportage zeigt aber auch, dass bei jeder Geschichte Fragen offen bleiben und dass auch eine grosse Recherche mitunter nichts anderes hinterlässt als Ungewissheit.»
Carlos Hanimann schreibt: «Vielen herzlichen Dank für den Reporterpreis 2020. Ich habe, ganz ehrlich, nicht im Geringsten damit gerechnet. Umso mehr freut mich die Auszeichnung.
Selten hat mich eine Recherche so in den Bann gezogen wie diese: Vier Jahre lange grübelte ich über dem Fall von Caroline H., der «gefährlichsten Frau der Schweiz». Ich folgte erst der einen Spur, dann der nächsten, landete in der ersten Sackgasse und dann in vielen weiteren. So ging das gefühlt ewig hin und her, ohne zu wissen, ob ich die Geschichte dieser Frau, die unbedingt eine Mörderin sein wollte, und dieses Mannes, der sich fast sicher ist, dass sie keine ist, jemals aufschreiben würde. Irgendwann – und wenn ich ehrlich mit mir bin: schon früh – wusste ich, dass ich die Frage, die ich in mir trug, vermutlich nie würde beantworten können: Was, wenn Caroline H. keine Mörderin ist?
Am Ende habe ich den Text doch geschrieben. Weil der Fall zu bedeutend und der Verdacht zu gravierend ist, um darüber zu schweigen. Und auch, weil ich glaube, dass es im Journalismus immer darum geht, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu machen.
Ich danke den wenigen Menschen, die wussten, woran ich knobelte und womit ich haderte: Sie gaben mir Mut, Halt und offene Ohren. Ich danke der Republik, die echten Journalismus möglich macht: Sie vertraute mir und gab mir die nötige Zeit, diese Geschichte aufzuschreiben. Ich danke dem Echtzeit-Verlag, der die Artikelserie in ein wundervolles Büchlein verwandelte.»
Der Schweizer Reporterpreis des Reporter-Forums Schweiz wurde in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen. Insgesamt sind über 50 Texte eingereicht worden. Die Teilnahmebedingungen finden sich hier.
Eine Vorjury, bestehend aus zehn Mitgliedern des Reporter-Forums Schweiz, hat zuvor die Texte in anonymisierter Form gelesen und diskutiert. Folgende zehn schafften es auf die Shortlist:
Die Jury bestand dieses Jahr aus Anuschka Roshani (Redaktorin und Reporterin bei «Das Magazin», Autorin), Sacha Batthyany (Reporter bei «NZZaS Magazin», Dozent an der Schweizer Journalistenschule MAZ, Autor), Bettina Oberli (Theater-, und Filmregisseurin, Drehbuchautorin), Alice Kohli (Freie Journalistin, Rechercheurin und Datenjournalistin) und Stefanie Müller-Frank (Freie Reporterin, Mitglied Reporter-Forum Schweiz).
Der Schweizer Reporterpreis ist mit 5’000 Franken dotiert und wird von der Stiftung für Medienvielfalt gesponsert.
Schweizer Reporter:innen-Stipendien
Die beiden Reporter:innen-Stipendien gehen an Karin Wenger sowie an Lucia Vasella und Marina Bolzli. Ihre Anträge für zwei grössere Recherchen haben die Jury besonders überzeugt. Die Stipendien sind ebenfalls mit je 5'000 Franken dotiert und von der Stiftung für Medienvielfalt gesponsert.
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